Ein pleitegegangenes Dax-Unternehmen, fehlende Milliarden und ein ehemaliger Topmanager auf der Flucht: Der Wirecard-Skandal hat einen immensen Schaden angerichtet – und die Suche nach Schuldigen an diesem Wirtschaftsdesaster wird zunehmend schmutziger.
Zwischen den Behörden und den verschiedenen Bundesministerien ist längst ein Wettstreit entbrannt, sich gegenseitig die Verantwortung zuzuweisen. Eine wichtige Rolle nehmen dabei der langjährigen Wirecard-Abschlussprüfer EY (früher: Ernst & Young) und die Aufsichtsbehörde Apas ein – die nun offensichtlich heftig aneinandergeraten.
Nach SPIEGEL-Informationen verteidigt sich die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY in einem Brief an die Staatsanwaltschaft München und die Apas gegen schwere Anschuldigungen, welche die Aufsichtsbehörde gegen EY erhoben hatte. Die Apas hatte EY-Mitarbeiter bei der Staatsanwaltschaft München angezeigt und aufgelistet, wo und wann EY bei der Prüfung der Wirecard-Bilanzen Fehler gemacht habe. Das sei bei den Jahresabschlüssen 2015, 2016 und 2017 der Fall gewesen. Aus Sicht der Apas ergaben sich sogar Anhaltspunkte für Straftaten. Die Staatsanwaltschaft äußert sich zu der Anzeige und der EY-Reaktion nicht.
In der sechsseitigen Erwiderung von EY, die auch an die Apas ging und die dem SPIEGEL vorliegt, heißt es nun, EY wolle die »berufsaufsichtliche Arbeit« der Apas und in der Causa Wirecard »bestmöglich und kooperativ« unterstützen. Gleichwohl wolle man bereits jetzt »einige Punkte exemplarisch hervorheben, die zeigen, dass eine vollständige Kenntnis der Fakten notwendig ist, um zu belastbaren Schlussfolgerungen zu gelangen«. In den Ausführungen werfen die EY-Anwälte der Apas vor, sich auf »fehlerhafte Annahmen« zu stützen und von »unrichtigen Prämissen« auszugehen.
Wirecard-Affäre: Die missbrauchte BankVon Martin Hesse
Wirecard-Skandal: Geheime Dokumente bringen Finanzaufseher in BedrängnisVon Tim Bartz, David Böcking, Martin Hesse und Gerald Traufetter
(Video) Wirecard UpdateWirecard-Skandal: Prüfer mit magerer BilanzVon David Böcking
Der Zeitpunkt des EY-Vorstoßes dürfte kein Zufall sein. An diesem Donnerstag steht die Apas im Mittelpunkt des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der den Wirecard-Skandal aufarbeitet. Die Abgeordneten vernehmen deren Leiter Ralf Bose sowie weitere Mitarbeiter und wollen wissen, ob sie ihrer Kontrollfunktion über EY nachgekommen sind. Denn auch die Kontrolleure der Kontrolleure haben in der Affäre keine gute Figur gemacht.
Dubioser Deal in Indien
Die Apas hatte kürzlich schwere Vorwürfe gegen EY erhoben. Aus Sicht der Aufsicht patzte EY besonders schwer, als es galt, die Wirecard-Jahresabschlüsse für 2016 und 2017 zu testieren und dabei einen äußerst zweifelhaften Sachverhalt angemessen zu berücksichtigen. Ein interner Hinweisgeber hatte EY darauf gestoßen, dass es bei der Übernahme der Hermes-Gruppe in Indien durch Wirecard für rund 340 Millionen Euro nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Bis heute steht der Vorwurf im Raum, der Kaufpreis sei viel zu hoch gewesen und Wirecard-Manager könnten sich dabei bereichert haben. EY veranlasste damals eine Untersuchung unter dem Namen »Project Ring«, die Zweifel an dem Deal und seiner Bilanzierung waren erheblich, EY soll deshalb in einem Schreiben vom 29. März 2017 gedroht haben, nur ein eingeschränktes Testat für 2016 zu erteilen. Am Ende gaben die Wirtschaftsprüfer dem Abschluss aber doch ihren Segen.
Genau hier setzt die Kritik der Apas an: Sie wirft EY vor, »als weitere Prüfungshandlungen lediglich Erklärungen und Auskünfte des … Managements … bis zum Zeitpunkt der Erteilung eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks« für die Bilanz des Jahres 2016 eingeholt zu haben. Laut EY-Verteidigung trifft dies nicht zu. Das Prüfungsteam habe bis zur Erteilung des Testats am 5. April 2017 »umfangreiche und sachverhaltserhebliche Informationen, Erläuterungen und Dokumente bzw. Datenlieferungen« erhalten, »die sich auf die Behauptungen des Whistleblowers beziehen«. Unter anderem habe das Forensik-Team, das bei Wirecard für das »Project Ring« zuständig war, dem Abschlussprüferteam von Datenlieferungen des Wirecard-Managers Edo Kurniawan berichtet. Auf Basis dieser Daten habe das Forensik-Team mitgeteilt, man sehe sich »in der Lage zahlreiche offene Punkte für den Moment schließen (zu) können«.
Ein Jahr später aber war das Problem mit dem Hermes-Deal noch immer nicht aus der Welt geräumt, die Untersuchung »Project Ring« lief weiter, und erneut stellte sich für EY die Frage, ob das Testat für den Jahresabschluss 2017 erteilt werden konnte. Dann aber griff Jan Marsalek ein. Der damalige Wirecard-Vorstand, zuständig für das Asiengeschäft, erklärte am 3. April 2018 in einer E-Mail an EY, man habe die Vorgänge um Hermes geprüft und sehe keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten von Wirecard-Mitarbeitern, der Fall sei erledigt, Project Ring beendet. Man bedanke sich bei EY für die »stets transparente und hoch professionelle Analyse«. Kurz darauf erteilte EY das uneingeschränkte Testat.
Treffen in Manila
Die Apas kritisiert die Einstellung von »Project Ring« und wirft EY vor, das Testat unter dem Jahresabschluss behaupte daher unrichtigerweise, »dass die Prüfung eine hinreichende Grundlage für die Beurteilung bilde, sodass die geprüften Abschlüsse ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage wiedergeben würden«.
Das will EY nicht auf sich sitzen lassen. In dem Brief an die Staatsanwaltschaft argumentieren die EY-Vertreter nun, »Project Ring« und die Abschlussprüfung seien zwei voneinander unabhängige Vorgänge. Das Abschlussprüferteam habe selbst »unabhängige Prüfungshandlungen geplant und durchgeführt, die sich mit allen für die Abschlussprüfung relevanten Fragen befassten«. Von der Einschätzung, in welchem Stadium sich das »Project Ring« befand, »war das Audit-Team mithin nicht abhängig«.
Zu weiteren Vorwürfen der Apas will sich EY erst äußern, wenn das Unternehmen und seine Anwälte volle Akteneinsicht erhalten haben. Dann muss sich EY auch mit dem Vorwurf auseinandersetzen, Erlöse aus dem vermeintlich so ertragreichen, aber offenkundig teils gar nicht existenten Geschäft mit Drittpartnern falsch beurteilt zu haben. Das Geschäft mit den Drittpartnern hatte Wirecard lange über Treuhandkonten abgewickelt, deren Einrichtung EY 2015 selbst ausgelöst haben soll.
Ein Protokoll der konkurrierenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG legt nun nahe, dass EY sogar zur Einrichtung solcher Konten geraten habe. Demnach sagte Christopher Bauer, der mittlerweile verstorbene Chef der Wirecard-Partnerfirma PayEasy im März 2020 bei einem Treffen in Manila: »Diese Umstellung wurde von den Jahres- und Konzernabschlussprüfers der WD (Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft) angeraten.« Bei dem Treffen waren auch der inzwischen flüchtige Vizechef Jan Marsalek sowie der EY-Partner Martin Dahmen anwesend. Dahmen habe nicht widersprochen, heißt es in der KPMG-Notiz. Allerdings war der Manager zum fraglichen Zeitpunkt im Jahr 2015 auch noch gar nicht mit Wirecard befasst gewesen. Wirecard dürfte einen Anreiz gehabt haben, den Drittpartnern gegenüber bei der Umstellung auf Treuhandkonten auf EY zu verweisen, denn für die Partner stellte das neue System eine Verschlechterung dar.
Mit einer Beratung zu den Treuhandkonten hätte EY gegen Gesetze verstoßen, da ein Bilanzprüfer nicht gleichzeitig beraten darf. Die Apas erhebt in ihrem Zwischenbericht zu EY bisher keinen derartigen Vorwurf.
Untätige Apas
In einem anderen Punkt geht EY sogar zur Attacke auf die Apas über und hält der Berufsaufsicht ein falsches Rechtsverständnis vor. Die Apas habe EY fälschlicherweise vorgeworfen, Meldepflichten nach der Abschlussprüferverordnung verletzt zu haben. Hintergrund ist ein Anruf des EY-Deutschlandchefs Hubert Barth und des EY-Partners Christian Orth am 13. Februar 2019 bei der Apas. Sie berichteten über mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Wirecard-Bilanzierung in Singapur. Seitens der Apas nahm die gesamte Führungsriege um Behördenchef Bose an dem Gespräch teil. Artikel 7 der Abschlussprüferverordnung sieht vor, dass Wirtschaftsprüfer bei den jeweils zuständigen nationalen Behörden Alarm schlagen, wenn sie im Prüfprozess auf Unregelmäßigkeiten stoßen. Die Apas aber unternahm auf den EY-Anruf hin nichts.
Die Berufsaufsicht hält EY in ihrem Bericht an die Staatsanwaltschaft stattdessen vor, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hätte eine solche Artikel-7-Meldung an die Staatsanwaltschaft richten müssen, das Unterlassen einer solchen Meldung könne sogar strafbar sein. Die EY-Anwälte verweisen darauf, dass in Deutschland bislang nicht geregelt sei, an welche Stelle sich ein Wirtschaftsprüfer wenden muss, wenn er auf Unregelmäßigkeiten bei der Bilanzierung eines Unternehmens stößt. Das Institut der Wirtschaftsprüfer, das den Berufsstand vertritt, verweise die Prüfer in Zweifelsfällen an die Apas.
Indirekt gesteht auch der Gesetzgeber ein solches Zuständigkeits-Wirrwarr ein: Im Entwurf für das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG), mit dem die Bundesregierung nach dem Wirecard-Skandal die Aufsicht verbessern möchte, heißt es nun erstmals, dass sich Prüfer an die Finanzaufsicht Bafin und nur bei Verdacht auf Straftaten an die Strafverfolgungsbehörden zu wenden haben.
War Markus Braun Anführer oder nützlicher Idiot?: Der WireclanVon Tim Bartz und Martin Hesse
Tatsächlich war der Hilferuf der EY-Manager bei der Apas formal keine Artikel-7-Meldung. Eine solche Meldung kann nur erfolgen, wenn das betreffende Unternehmen in der Sache, um die es geht, nachweislich nicht kooperiert. Wirecard hatte aber zu den damals im Raum stehenden Vorwürfen in Singapur eine Kanzlei mit einer Untersuchung beauftragt.
Dennoch stellt sich die Frage, warum die Apas offenbar in keiner Weise reagierte und stattdessen nun EY vorwirft, nicht die Staatsanwaltschaft angerufen zu haben. Wenn die Apas Informationen erhält, die für andere Aufsichtsstellen wie die Bafin relevant sein könnten, muss sie diese weiterleiten.Sie tat dies nicht, weil solche Informationen aus dem Gespräch mit EY nicht gewonnen worden seien, wie die Apas dem SPIEGEL im vergangenen September mitteilte.
Ermittlungen dürften sich hinziehen
Lenkt die Apas mit ihrem jetzt so resoluten Vorgehen also womöglich von eigenen Versäumnissen ab? »Die Aufsicht der Apas über die EY-Prüfungen bei der Wirecard AG war nicht so fehlerfrei, wie es die Behörde und ihr zuständiger Minister Altmaier bisher dargestellt haben«, kritisiert Danyal Bayaz, Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Wirecard-Affäre.
Offensichtlich ist: Seit 2016 hatte die Aufsicht nicht mehr genauer hingeschaut, ob EY bei der Prüfung der Jahresabschlüsse von Wirecard sauber arbeitet, auch nach dem Telefonat vom Februar 2019 nicht.
Dabei gab es über die Jahre immer wieder Vorwürfe, der Zahlungsabwickler blase seine Umsätze und Gewinne auf. Die Apas nimmt sich Jahr für Jahr stichprobenartig Konzerne und deren Prüfer vor. Was dabei herauskommt, erfährt die Öffentlichkeit freilich nicht. Selbst wenn die Aufsicht Fehler bei den Prüfern feststellt, berichtet sie nur summarisch und ohne Nennung von Namen am Ende eines Jahres über Verfehlungen und von ihr verhängte Sanktionen.
Bei EY und Wirecard leitete die Apas erst im Oktober 2019 ein Vorermittlungsverfahren ein, als die »Financial Times« in mehreren Artikeln darlegte, dass große Teile des über vermeintliche Drittpartner abgewickelten Geschäfts womöglich gar nicht existierte. Schon nach ein paar Tagen aber stellte die Apas die Arbeit wieder ein, man wollte erst abwarten, was bei einer Sonderprüfung der Wirecard-Bilanzen durch den EY-Konkurrenten KPMG herauskäme. Nachdem KPMG Ende April einen verheerenden Abschlussbericht vorgelegt hatte, nahm die Apas schließlich ein formales Aufsichtsverfahren ein, das nun in einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft mündete.
Bis die Ermittlungen der Münchener Staatsanwaltschaft gegen die EY-Prüfer richtig Fahrt aufnehmen, dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen. Die Ermittler unter der Führung der Abteilungsleiterin Hildegard Bäumler-Hösl gehen bei der Aufarbeitung des Skandals von innen nach außen vor. Zuerst wollen sie aufklären, ob und in welchem Ausmaß die Wirecard-Manager um den mutmaßlichen Haupttäter Jan Marsalek tatsächlich Bilanzbetrug begangen haben und wer im Konzern daran beteiligt war. Erst dann können sie ernsthaft der Frage nachgehen, ob EY und andere bei der Bilanzfälschung vorsätzlich geholfen haben.